Nachbericht 38. Musikwoche Löwenstein

Die Macht der Musik

Die Musikwoche Löwenstein bringt seit fast 40 Jahren vergessene Musik deutscher Komponisten aus Südosteuropa einem großen Publikum nahe. Sie führt Menschen aller Generationen zusammen, Instrumentalisten ebenso wie Chorsängerinnen, aus Deutschland, Rumänien und weiteren Ländern. Ihre 38. Auflage vom 1. bis 7. April verzeichnete mit 150 Teilnehmenden nun einen neuen Rekord.

Auch zum Abschlusskonzert in der Kilianskirche Heilbronn am 6. April kamen fast 400 Besucherinnen und Besucher, so viele wie nie zuvor. Die von der Gesellschaft für deutsche Musikkultur im südöstlichen Europa e. V. (GDMSE) getragene Musikwoche und ihre Abschlusskonzerte sind für ein immer größer werdendes Publikum zum Markenzeichen geworden. Der Markenkern der Woche ist seit jeher die Pflege der deutschen Musikkultur in Südosteuropa - so auch diesmal.

 

Hauptwerk der abschließenden Aufführung war die festliche „Missa jubilet“ des Banater Komponisten Peter Rohr (1881-1956), die sehr stimmungsvoll sakrale Texte und musikantischen Geist mit italienischer Operndramatik verbindet. Das war nicht nur für Chor und Orchester ein Fest, sondern auch für das Solistenquartett mit Bettina Meltzer, Jasmin Hofmann, Hans Straub und Johannes Dasch. Herausgegeben wurde die Messe von Dr. Franz Metz. Die rumänisch-folkloristisch gefärbte Orchestersuite „Viaţa la ţară“ (Leben auf dem Lande) von Hermann Klee (1883-1970) war seit Jahrzehnten nicht erklungen und wurde mit ihren spieltechnischen Tücken vom überwiegend jungen Orchester souverän gemeistert.

 

Die Fäden in der Hand hielt dabei der junge Dirigent Andreas Schein aus Temeswar, der zum zweiten Mal die musikalische Leitung der Musikwoche übernommen hatte. Schein ist zugleich promovierter Musikwissenschaftler und hatte das Notenmaterial der Orchestersuite von Herrmann Klee eigens für diesen Anlass eingerichtet.

 

Mitreißend und zugleich präzise dirigierte er auch die Ouvertüre und das Erntedankgebet aus der Operette „Grüßt mein Banat“ von Emmerich Bartzer (1895-1961). Das gesamte Werk, eine legendäre Operette, die zu Lebzeiten des Komponisten nie gespielt werden konnte, war erst im Oktober 2023 an der Nationaloper Temeswar uraufgeführt worden. Orchestriert und für die Praxis eingerichtet hatte das verschollen geglaubte Werk – auf Basis eines Klavierauszugs - Andreas Schein selbst. Das christliche Erntedankgebet war nach dem Zweiten Weltkrieg ein Hauptgrund für das kommunistische Regime in Rumänien, eine Aufführung nicht zuzulassen. In Heilbronn wurde dieser bewegende Chor zum ersten Mal in deutscher Sprache gesungen – in Temeswar war die Operette auf Rumänisch erklungen. Der Enkel des Komponisten, Adrian Bartzer, war unter den Zuhörenden in Heilbronn. Andreas Schein, Jahrgang 1997, ist aktuell unter anderem Gastdirigent der Philharmonie in Arad und der Nationaloper in Galaţi. Man muss kein Prophet sein, um ihn bald in größeren und festen Engagements zu sehen.

 

Doch auch die siebenbürgische Musikkultur war präsent: Auf dem Programm stand eine eigens für die Musikwoche Löwenstein geschaffene Vokalkomposition der Hermannstädter Kantorin und Komponistin Brita Falch Leutert, die den bekannten Osterchoral „Wir wollen alle fröhlich sein“ für ihr leuchtendes A-cappella-Werk bearbeitet hatte. Dirigiert wurde das Stück von Andrea Kulin, aus Kronstadt stammende Kantorin in Bissingen/Enz und Leiterin der Siebenbürgischen Kantorei. Ein besonderer Genuss war auch der Auftritt des glockenhellen und groß besetzten Jugendchores der Musikwoche unter Leitung von Markus Piringer, der in Siebenbürgen geboren wurde und Kantor und Chorleiter im schwäbischen Mühlacker ist.

 

Die Musikwoche Löwenstein umfasst freilich noch viel mehr als die gemeinsamen Proben für ein großes Abschlusskonzert und dessen Aufführung. Eine Woche lang machen 150 Menschen, vom Kleinkind bis zur Großmutter, in der Idylle der Evangelischen Tagungsstätte Löwenstein bei Weinsberg gemeinsam Musik. Fast alle denkbaren Ensembleformen kommen zu ihrem Recht, vom Streichquartett bis zum Salonorchester und vom Trompetenduett bis zum Kammerchor. Besonders groß war diesmal auch die von Dorothea von Kietzell (musikalische Früherziehung, Jugendkammermusik) und Gerlinde Knopp geleitete Kindergruppe mit über 20 Mädchen und Jungen.

 

Um die Gegenwart und Zukunft der Musikwoche muss einem, mindestens in personeller Hinsicht, nicht bange sein. Dafür stehen auch der von Markus Piringer geleitete Jugendchor und die vielen großartigen internen Vorspiele junger Talente an zwei Abenden der Musikwoche. Den mit jeweils 200 Euro dotierten Wolfgang-Meschendörfer-Förderpreis erhielten diesmal die Geigerin Sophia Bittner und die Fagottistin Elisabeth Killyen.

 

Die Finanzierung des immer größer werdenden, einzigartigen, Generationen und Nationen verbindenden Projektes wird freilich nicht leichter - trotz der löblichen Unterstützung durch das Innenministerium Baden-Württemberg, das Bundesministerium für Kultur und Medien (über das Kulturreferat für Siebenbürgen) sowie die Heimatortsgemeinschaften Hermannstadt und Kronstadt. Weitere Förderer sind dringend gesucht.

 

Bewährte weitere Dozentinnen und Dozenten der Musikwoche waren Ilarie Dinu (Hohe Streicher, Konzertmeister), Jörg Meschendörfer (tiefe Streicher, Salonorchester), Isabella Schöne und Michèle Becker (Holzbläser), Jörn Wegmann (Blechbläser), Liane Christian und Christian Turck (Klavier, Korrepetition), Brigitte Schnabel (Kammermusik) sowie Agnes und Johannes Dasch (Stimmbildung, Gesang), außerdem als Helferinnen bei der Kinderbetreuung Smilla Birken, Oleksandra Telnova und Marta Dziuba. Die organisatorische Leitung hatten Bettina Meltzer und Johannes Killyen.

 

Bei der Mitgliederversammlung der GDMSE während der Woche wurde der 2023 verstorbene siebenbürgische Musikverleger Frieder Latzina zum Ehrenmitglied der Gesellschaft ernannt. Über die Jahre hinweg hat er zahllose Werke auch für die Ensembles der Musikwoche eingerichtet. Gedankt wurde im Lauf der Sitzung auch dem Vorsitzenden der GDMSE, Dr. Franz Metz, für sein unermüdliches Engagement bei der Pflege und Bewahrung der deutschen Musikkultur aus Südosteuropa, für seinen Einsatz als Verleger und für den Verein.

 

Eine ganz besondere Geschichte verbindet die weltweit bekannte Geigerin Sarah Christian mit der Musikwoche Löwenstein: Als Kind und Jugendliche war sie viele Jahre lang Teilnehmerin, ihr verstorbener Vater Harald Christian war Konzertmeister und Geigendozent, die Mutter Liane Christian ist weiterhin Klavierdozentin. Sarah Christian, Konzertmeisterin der Bremer Kammerphilharmonie und als Gastkonzertmeisterin an der Oper in Oslo tätig, außerdem als Professorin an der Musikhochschule Stuttgart, war diesmal mit ihrer kleinen Tochter ganz normale Teilnehmerin der Musikwoche. Doch gestaltete sie am 4. April gemeinsam mit der Pianistin Nadine Hartung ein fulminantes, virtuoses, existenziell bewegendes Recital mit Werken von Beethoven, Strauss und Lutoslawski. Dieses kurze Konzert hinterließ tiefe Eindrücke bei den Zuhörenden. Und es stand, ebenso wie die gesamte Woche, für die Macht und Schönheit der Musik.

 

Johannes Killyen