Das (zweite) Wunder von Löwenstein
Zum zweiten Mal konnte die Musikwoche Löwenstein vom 18. bis 24. April unter Corona-Bedingungen stattfinden – und wieder stand sie unter einem guten Stern. Nach der Absage im Frühjahr 2020 und der Verlegung in den Sommer im vergangenen Jahr war die traditionsreiche Veranstaltung nun in ihrer 36. Ausgabe zu ihrem normalen Termin nach Ostern zurückgekehrt. Sie erreichte mit mehr als 130 Teilnehmenden auch wieder ihre gewohnte Stärke.
So konnten die musikalischen Leiter Dr. Steffen Schlandt aus Kronstadt und Andrea Kulin aus Bietigheim-Bissingen während der Proben in der Evangelischen Tagungsstätte Löwenstein bei Chor und Orchester so ziemlich aus dem Vollen schöpfen, um den großen Werken des Abschlusskonzertes am 23. April in der Kilianskirche Heilbronn gerecht zu werden.
Am Ostermontag waren die „Löwensteiner“ wieder aus allen Regionen Deutschlands, aus Frankreich, Österreich und Rumänien angereist. Zuhause hatten sich alle auf Corona getestet und bei Ankunft in der Tagungsstätte noch einmal, sodass während der Musikwoche ein relativ unbeschwertes Beisammensein und Musizieren möglich war. Auch in diesem Jahr war spürbar, wie sehr den Teilnehmerinnen und Teilnehmern das Musizieren gefehlt hatte.
Neben den großen Ensembles Jugendchor, Erwachsenenchor und Orchester sowie den Instrumentengruppen fanden sich schnell unzählige Kammermusikformationen, die jede Minute im straffen Tagesplan zum Musizieren nutzten: Andacht, Kammermusik, Chor/Orchester, musikalische Früherziehung Tanz, Jugendchor, Salonorchester, interne Vorspiele – die Tage waren randvoll gefüllt mit Musik und Begegnungen mit netten Menschen. Und selbst nach diesem Tagesprogramm wurde noch in den verschiedenen Ecken des Hauses musiziert.
Seit jeher lebt die Musikwoche Löwenstein nicht nur von der Vorbereitung auf das große öffentliche Abschlusskonzert, sondern bietet auch den kleinen und kleinsten Nachwuchsmusikerinnen und Nachwuchsmusikern eine Bühne mit wohlwollendem Publikum, das über die Jahre schon manchen Dreikäsehoch von den ersten Übungen am Instrument bis zum gehobenen Vortrag anspruchsvoller Literatur begleitet hat. In diesem Jahr hatten beide Gruppen ihr eigenes Vorspiel mit vorbereiteten Werken: die jüngeren Kinder und Jugendlichen beim Talentschuppen am Mittwochabend und die schon etwas älteren Jugendlichen und jungen Erwachsenen bei einem Kammerkonzert am Donnerstagabend. Mit dem Wolfgang-Meschendörfer-Förderpreis wurden diesmal gleich zwei junge Talente ausgezeichnet, die sich über Jahre und auf vielfältige Weise um die Musikwoche Löwenstein verdient gemacht haben: der Pianist und Schlagzeuger Oskar Naudé und der Sänger und Cellist Jakob Braun.
Im Laufe der Musikwoche geprobte Stücke kamen bei der Hausmusik am Freitagabend und der Matinee am Sonntagvormittag zu Gehör. Und selbst für Beiträge zum unterhaltsamen Bunten Abend am Freitag und Walzerseligkeit nach dem öffentlichen Konzert am Samstag hatten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer noch Zeit, Energie und Ideenreichtum übrig. Es ist jedes Jahr aufs Neue erstaunlich, was in der kurzen Zeit alles auf die Beine gestellt wird.
Im Abschlusskonzert der 36. Musikwoche Löwenstein in der mit 300 Besucherinnen und Besuchern bestens gefüllten Kilianskirche Heilbronn schließlich war fast die komplette Gruppe eingebunden. Der Jugendchor eröffnete das Konzert mit einem Satz von „Bewahre uns Gott, behüte uns Gott“, arrangiert von Musikpädagogin Annika Ryssel, die den Jugendchor zum ersten Mal leitete. Aus dem Oratorium Elias von Felix Mendelssohn Bartholdy trugen die jungen Stimmen eindrücklich „Sei stille dem Herrn“ und schließlich „One of us“ von Joan Osborne vor. Hier glänzten auch die beiden jungen Solistinnen des Jugendchors Esther Killyen und Johanna Hörwick.
Erwachsenenchor, Solisten und Orchester der Musikwoche musizierten daraufhin mit großer Spielfreude und Klangkraft die Vertonung des 1. Psalms des Kronstädter Komponisten Johann Lukas Hedwig (1802-1849). Ein eindrucksvoller Wechselgesang zwischen dem Bariton Johannes Dasch und dem Chor eröffnete die Kantate, gefolgt von einem elegischen Tenorsolo, gesungen von Hans Straub. Es wurde zunächst vom Solistenquartett (komplettiert durch Agnes Dasch, Sopran, und Mara Perlea, Alt) und dann vom ganzen Chor übernommen, um dann in einer groß angelegten Fuge zu kulminieren.
Für viele Zuhörende – und Ausführende – ein Highlight und eine Überraschung war die Symphonische Dichtung „Lancelot“ des Banater Komponisten Hermann Klee (1883 – 1970), die stark an die Tonsprache Richard Wagners und Anton Bruckners angelehnt ist. Mal geheimnisvoll und mystisch, mal mitreißend rhythmisch präsentierte das bestens besetzte Orchester dieses abwechslungsreiche Werk.
Hauptwerk des Abends war, wieder geleitet von Steffen Schlandt, die geistliche Szene „Richte mich, Gott“ op. 33 nach Worten des 43. Psalms, komponiert für Chor und Orgel von Rudolf Lassel (1861 – 1918) und orchestriert von Prof. Heinz Acker (*1942), der auch beim Konzert in Heilbronn anwesend war. Das Werk bot den Zuhörenden eine überraschende Vielfalt an Interaktionen zwischen dem wortführenden Bariton-Solisten (stimmgewaltig hier wieder Johannes Dasch) und verschiedenen kommentierenden Chören: Männerchor, Frauenchor, gemischter Chor sowie Solistenquartett gestalteten ihre Partien mit Einsatz und Können.
Am Schluss des Konzerts erklang unter Leitung von Kirchenmusikerin Andrea Kulin die Choralkantate „Verleih uns Frieden“ aus dem Jahr 1831 als Ausdruck des Wunsches nach Frieden in der Welt, insbesondere vor dem Hintergrund des schrecklichen Krieges in der Ukraine. Ein sichtlich bewegtes und begeistertes Publikum spendete einen langanhaltenden Applaus.
Und auch die Musikwoche ging schließlich in guter Stimmung zu Ende. Als weitere Dozenten wirkten Ilarie Dinu (hohe Streicher), Jörg Meschendörfer (tiefe Streicher, Salonorchester), Liane Christian und Christian Turck (Klavier/Korrepetition), Agnes Dasch (Gesang), Rita Marquardt (Holzbläser), Jörn Wegmann (Blechbläser), Brigitte Schnabel (Kammermusik), Dorothea von Kietzell (musikalische Früherziehung/Jugendkammermusik) sowie Daniela Wolf und Svenja Wollny (Kinderbetreuung). Die organisatorische Leitung lag in den Händen von Bettina Meltzer und Johannes Killyen.
Der Termin für 2023 steht bereits fest: Die Woche vom 10. bis 16. April 2023 sollten sich Interessierte schon jetzt in den Kalender eintragen und die Ankündigung des Trägervereins der Musikwoche, der Gesellschaft für deutsche Musikkultur im südöstlichen Europa (GDMSE), unter www.suedost-musik.de verfolgen. Die Mitgliederversammlung des Vereins wird in Kürze online stattfinden. Die Musikwoche Löwenstein wird unterstützt vom Kulturreferat für Siebenbürgen/der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien, vom Innenministerium Baden-Württemberg, von der HD Hermannstadt und der HG der Kronstädter.
Bettina Meltzer